Das Übersetzen ist vermutlich beinahe so alt wie die geschriebene Sprache selbst – wahrscheinlich rund 5.000 Jahre. Es wurde daher bereits als das »zweitälteste Gewerbe der Welt« bezeichnet. Über seine Anfänge lassen sich aber mangels Überlieferungen nur Vermutungen anstellen. Quellen, die direkt Auskunft über das Phänomen des Übersetzens geben, besitzen wir erst aus einer Epoche etwa 200 bis 300 Jahre vor der Zeitenwende.
Die ältesten erhaltenen Übersetzungszeugnisse: der Stein von Rosetta
Der Stein von Rosetta ist eines der ältesten und gleichzeig eindrucksvollsten erhaltenen Zeugnisse einer Übersetzung. Auf dem über einen Meter hohen Stein, der 1799 im Nildelta in der Nähe der Stadt Rosetta gefunden wurde und das Bruchstück einer Stele darstellt, ist der – nur teilweise erhaltene – Text eines Priesterdekretes, des sogenannten »Dekretes von Memphis«, aus dem Jahr 196 v. Chr. in den drei Schriftsprachen ägyptische Hieroglyphenschrift (oben), Demotisch (mittig) und Altgriechisch (unten) zu lesen. Der Fund eröffnete zum ersten Mal einen Zugang zur ägyptischen Hieroglyphenschrift: Da der gleiche Text auf der Stele dreimal in drei verschiedenen Sprachen wiedergegeben ist, konnte die Hieroglyphenschrift teilweise entziffert werden. Der Stein von Rosetta befindet sich heute als Exponat EA24 im British Museum in London.
Übersetzen als Vermittlung zwischen griechischer und römischer Antike: Marcus Tullius Cicero
Besondere Bedeutung für den Austausch und die Vermittlung zwischen griechischer und römischer Kultur hat in der Antike die Übersetzung zwischen den beiden beteiligten Kultursprachen, insbesondere die Übersetzung aus dem Griechischen in das Lateinische. Eine zentrale Rolle spielt dabei im ersten Jahrhundert vor Christus die Übersetzung und Bearbeitungen griechischer Texte durch den römischen Juristen, Philosophen, Politiker und Redner Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.).
Cicero beschäftigt sich auch als einer der Ersten in theoretischer Hinsicht mit dem Übersetzen. Die ihm zugeschriebene Schrift De optimo genere oratorum (Über die beste Gattung von Rednern, entstanden wohl um 50 v. Chr.) behandelt ein Problem des Übersetzens, das wir heute als wichtige übersetzungstheoretische Grundlagenfrage betrachten. Cicero lehnt bei der Beschreibung seines eigenen Vorgehens eine Übersetzung Wort für Wort ab und bevorzugt stattdessen eine freiere, sinngemäße Übertragung:
(14) Converti enim ex Atticis duorum eloquentissimorum nobilissimas orationes inter seque contrarias Aeschinis et Demosthenis. Nec converti ut interpres sed ut orator sententiis isdem et earum formis tamquam figuris verbis ad nostram consuetudinem aptis. In quibus non verbum pro verbo necesse habui reddere sed genus omne verborum vimque servavi. Non enim ea me adnumerare lectori putavi oportere sed tamquam appendere. […] (23) Quorum ego orationes si ut spero ita expressero virtutibus utens illorum omnibus id est sententiis et earum figuris et rerum ordine verba persequens eatenus ut ea non abhorreant a more nostro quae si e Graecis omnia conversa non erunt tamen ut generis eiusdem sint elaboravimus erit regula ad quam eorum dirigantur orationes qui Attice volent dicere. […]
(14) Ich habe nämlich die berühmtesten Reden, mit denen die beiden wortgewandtesten attischen Redner, Aischines und Demosthenes, gegeneinander angetreten sind, übertragen. Doch habe ich sie nicht als Übersetzer, sondern als Redner übertragen, mit demselben Sinn in derselben Form oder auch Gestaltung, doch mit Worten, die an unsere Sprachgewohnheiten angepasst sind. Dabei habe ich es nicht für notwendig gehalten, Wort für Wort zu übersetzen. Stattdessen habe ich den Gesamtcharakter und die Wirkung der Worte bewahrt. Ich habe nämlich geglaubt, sie dem Leser nicht etwa in kleiner Münze vorzählen, sondern sie ihm gleichsam in großer Währung auszahlen zu müssen. […] (23) Sollte ich aber ihre Reden, wie ich hoffe, wiedergegeben haben, indem ich all ihre Vorzüge zeigte, das heißt sowohl den Sinn als auch ihre Gestaltung und die Anordnung der Gegenstände, und dabei dem Wortlaut so weit folgte, wie er nicht unserem Sprachgefühl widerspricht – wenn schon nicht alles wörtlich aus dem Griechischen übertragen worden ist, so haben wir uns doch darum bemüht, dass es derselben Stilrichtung angehört –, so wird es eine Richtschnur geben, an der man die Reden derjenigen messen kann, die auf attische Art vortragen wollen. […]
(Cic. opt. gen. 5.14, 23)
Diese Überlegungen kennzeichnen den Beginn einer Diskussion, die in der Translationswissenschaft bis heute als Debatte über die wörtliche oder freie (nichtwörtliche) Übersetzung bekannt ist.
Hieronymus und die Übersetzung der Bibel ins Lateinische
Der spätantike Kirchenvater Hieronymus (347–420), in der bildenden Kunst oft dargestellt als einsiedlerischer, von einem Löwen begleiteter Gelehrter, erstellt gegen Ende des fünften Jahrhunderts nach Christus eine lateinische Übersetzung des Alten Testamentes sowie eine überarbeitete Übersetzung des Neues Testamentes. Die so entstandene Vulgata wird rasch zur maßgeblichen Bibelübersetzung avancieren und es für viele Jahrhunderte bleiben. Sie ist es auch, die ab 1452 von Johannes Gutenberg in Mainz gedruckt wird.
Veranlasst durch Kritik an einer seiner Übersetzungen (der Übersetzung eines Briefes des Epiphanius von Salamis an den Bischof Johannes von Jerusalem aus dem Griechischen ins Lateinische, angefertigt für Eusebius von Cremona), die bis hin zum Vorwurf der Fälschung reicht, reflektiert Hieronymus in einem Brief, verfasst um 395 und gerichtet an seinen Vertrauten Pammachius, auf die beste Art des Übersetzens (Hier. epist. 57). Er zitiert dafür unter anderem aus der oben genannten Schrift Ciceros De optimo genere oratorum und führt aus, indem er sogar – dies ist eine neue Differenzierung – ausdrücklich zwischen verschiedenen Textgattungen unterscheidet:
[…] Ego enim non solum fateor sed libera voce profiteor me in interpretatione Graecorum absque scripturis sanctis ubi et verborum ordo mysterium est non verbum e verbo sed sensum exprimere de sensu. Habeoque huius rei magistrum (Marcum) Tullium (Ciceronem) qui Protagoram Platonis et Oeconomicum Xenophontis et Aeschinis et Demosthenis duas contra se orationes pulcherrimas transtulit. Quanta in illis praetermiserit quanta addiderit quanta mutaverit ut proprietates alterius linguae suis proprietatibus explicaret non est huius temporis dicere. Sufficit mihi ipsius translatoris auctoritas qui ita in prologo earundem orationum locutus est: »[…] Converti enim ex Atticis duorum eloquentissimorum nobilissimas orationes inter seque contrarias Aeschinis et Demosthenis. Nec converti ut interpres sed ut orator sententiis isdem et earum formis tamquam figuris verbis ad nostram consuetudinem aptis. In quibus non verbum pro verbo necesse habui reddere sed genus omne verborum vimque servavi. Non enim ea me adnumerare lectori putavi oportere sed tamquam appendere.« Rursumque in calce sermonis: »Quorum ego« ait »orationes si ut spero ita expressero virtutibus utens illorum omnibus id est sententiis et earum figuris et rerum ordine verba persequens eatenus ut ea non abhorreant a more nostro quae si e Graecis omnia conversa non erunt tamen ut generis eiusdem sint elaboravimus.« Sed et Horatius vir acutus et doctus hoc idem in Arte poetica erudito interpreti praecipit: »Nec verbum verbo curabis reddere fidus interpres.« Terentius Menandrum Plautus et Caecilius veteres comicos interpretati sunt. Numquid haerent in verbis ac non decorem magis et elegantiam in translatione conservant? Quam vos veritatem interpretationis hanc eruditi κακοξηλίαν nuncupant. Unde et ego doctus a talibus ante annos circiter viginti et simili tunc quoque errore deceptus certe hoc mihi a vobis obiciendum nesciens cum Eusebii χρονικὸν in Latinum verterem tali inter cetera praefatione usus sum: »Difficile est alienas lineas insequentem non alicubi excidere arduum ut quae in alia lingua bene dicta sunt eundem decorem in translatione conservent. Significatum est aliquid unius verbi proprietate. Non habeo meum quo id efferam et dum quaero implere sententiam longo ambitu vix brevis viae spatia consummo. Accedunt hyperbatorum anfractus dissimilitudines casuum varietates figurarum ipsum postremo suum et ut ita dicam vernaculum linguae genus. Si ad verbum interpretor absurde resonant. Si ob necessitatem aliquid in ordine in sermone mutavero ab interpretis videbor officio recessisse.« Et post multa quae nunc prosequi otiosum est etiam hoc addidi: »Quodsi cui non videtur linguae gratiam interpretatione mutari Homerum ad verbum exprimat in Latinum plus aliquid dicam eundem sua in lingua prosae verbis interpretetur. Videbit ordinem ridiculum et poetam eloquentissimum vix loquentem.«
[…] Ich gebe nämlich nicht nur zu, sondern bekenne freiheraus, dass ich bei der Übersetzung der Griechen, abgesehen von den heiligen Schriften, wo auch die Anordnung der Worte ein Mysterium ist, nicht je ein Wort durch ein Wort, sondern den Sinn durch den Sinn ausdrücke. Und ich habe für dieses Vorgehen (Marcus) Tullius (Cicero) zum Lehrmeister, der Platons »Protagoras« und Xenophons »Haushaltskunst« sowie die beiden vortrefflichsten Reden des Aischines und des Demosthenes übersetzt hat, mit denen diese gegeneinander angetreten sind. Es ist dies nicht der richtige Moment, auszuführen, wie viel er dabei ausgelassen, wie viel er hinzugefügt und wie viel er verändert hat, um die Eigentümlichkeiten der fremden Sprache durch die Eigentümlichkeiten der seinen wiederzugeben. Mir genügt die Erklärung des Übersetzers selbst, der im Vorwort zu ebenjenen Reden Folgendes sagt: »[…] Ich habe nämlich die berühmtesten Reden, mit denen die beiden wortgewandtesten attischen Redner, Aischines und Demosthenes, gegeneinander angetreten sind, übertragen. Doch habe ich sie nicht als Übersetzer, sondern als Redner übertragen, mit demselben Sinn in derselben Form oder auch Gestaltung, doch mit Worten, die an unsere Sprachgewohnheiten angepasst sind. Dabei habe ich es nicht für notwendig gehalten, Wort für Wort zu übersetzen. Stattdessen habe ich den Gesamtcharakter und die Wirkung der Worte bewahrt. Ich habe nämlich geglaubt, sie dem Leser nicht etwa in kleiner Münze vorzählen, sondern sie ihm gleichsam in großer Währung auszahlen zu müssen.« Und noch einmal am Ende der Rede: »Ich sollte aber«, sagt er, »ihre Reden, wie ich hoffe, wiedergegeben haben, indem ich all ihre Vorzüge zeigte, das heißt sowohl den Sinn als auch ihre Gestaltung und die Anordnung der Gegenstände, und dabei dem Wortlaut so weit folgte, wie er nicht unserem Sprachgefühl widerspricht – wenn schon nicht alles wörtlich aus dem Griechischen übertragen worden ist, so haben wir uns doch darum bemüht, dass es derselben Stilrichtung angehört.« Doch auch Horaz, ein scharfsinniger und gelehrter Mann, setzt das Gleiche in seiner »Dichtkunst« für einen gut unterrichteten Übersetzer voraus: »Du wirst nicht dadurch ein treuer Übersetzer werden, dass du Wort für Wort ersetzt.« Terenz hat den »Menander«, Plautus und Caecilius haben die alten Komödiendichter übersetzt.
(Hier. epist. 57.5)
Hieronymus gilt als Schutzheiliger der Übersetzer. Sein Gedenktag, der Hieronymustag am 30. September, wird seit 1991 als Internationaler Übersetzertag begangen.
Übersetzung im Mittelalter
Im Mittelalter spielt das Übersetzen eine zentrale Rolle als Element des Kultur- und Wissenstransfers innerhalb und zwischen der hebräisch-, griechisch-, lateinisch- und arabischsprachigen Welt.
Näheres zur Theorie des Übersetzens